Der Spießer - Liebling der Komiker

Was ist eigentlich ein Spießer?
Die hervorstechendste Eigenschaft eines Spießers ist seine Engstirnigkeit, und seine Angst vor Veränderungen, während er gleichzeitig auf die bestehenden Verhältnisse schimpft. Damit bewegt er sich in ständiger Ablehnung. In der Beziehung mit anderen akzeptiert er als einzige Koordinate nur sich selbst.
Auf der Bezieungsebene sucht der Spießer das Status Verhältnis. Dabei gibt es für ihn nur das Gefälle zwischen oben und unten. Um in seiner von autoritären Verhältnissen geprägten Welt gefühlsmäßig nicht unterzugehen, wertet der Spießer lieber ab, um nicht selbst abgewertet zu werden. Er beansprucht Pflege, weil er sich als Opfer der Verhältnisse fühlt. Um dennoch Oberwasser zu behalten, sucht er nach den Schwächen vor allem bei denen, die sich um ihn kümmern.
Als autoritärer Charakter paart der Spießer sein Opfer-Verhalten sehr gerne mit Schuldzuweisungen.
Der Spießer Typus ist bei weitem nicht so leistungsfähig wie der schamgeplagte Hochstatus, der in ständiger Angst lebt zu scheitern und deswegen alles dafür tut, um seinen Hochstatus nicht zu verlieren. Er ist aber auch nicht so eingeengt wie der von Schuldgefühlen gebremste Tiefstatus, der sich selbst zutiefst als das eigentliche Übel der Welt versteht und unbewusst alles dafür tut um seine imaginäre Schuld abzutragen.
In seinem begrenzten Umfeld bewegt sich der Spießer wie ein kleiner Despot und verhält sich ganz nach seinen eigenen Regeln. Außerhalb seiner Enklave hingegen duckt er sich nach oben und entsprechend tritt er nach unten. Damit erweist sich der Spießer als idealer Puffer zwischen „denen da oben“ und „denen da unten“.
Spießer möchten grundsätzlich, dass sich nichts verändert.Spießertum bedeutet, das dynamische Wechselspiel der Gegensätze zum Erliegen zu bringen. Das erklärte Ziel des Spießers ist es, dass es nichts geben darf, was die Verhältnisse wirklich bewegen könnte.
Die latente Unzufriedenheit des Spießers wird gleichzeitig durch eine gewisse Genügsamkeit ausbalanciert. Desto mehr der Spießer das für ihn unverrückbare Gefälle des autoritären Statusdenkens verinnerlicht hat, umso mehr blockiert er jeden Impuls, der einen Statuswechsel oder vielleicht sogar eine Auflösung des Statusdenkens herbeiführen könnte.
Der Spießer repräsentiert somit das unvollendete Ende einer Statusbeziehung.
Auch dann also, wenn die Umstände in eine andere Richtung weisen und wenn die Statuspositionen ausgetauscht oder sogar transformiert werden könnten, blockiert der Spießer den Statuswechsel: aus dem wunderbar dynamischen Status-Prinzip zweier gegensätzlicher Pole wird eine erstarrte Statik.
Es hat manchmal den Anschein, als ob der Spießer die Gegensätze in sich vereint hätte, indem er sich geschickt zwischen Hoch – und Tiefstatus hin und her bewegt. Aber in Wirklichkeit spielt er die Gegensätze nur gegeneinander aus. Je nachdem, wo er sich den größten Vorteil erhofft, hält er mehr zu der einen oder mehr zu der anderen Seite. Interessanterweise bewegen sich Spießer genauso wie Narren als Grenzgänger auf einem schmalen Pfad zwischen zwei Extremen.
Damit sind Spießer permanenten Schwankungen unterworfen, die durch Veränderungen auf der einen oder der anderen Seite ausgelöst werden. Dennoch verfolgen Spießer und Narren ganz unterschiedliche Ziele, wenngleich sie bestimmte Eigenschaften teilen. Wenn es darauf ankommt, die Dinge zum eigenen Vorteil auszulegen, zeigt der Spießer einiges Talent und eine faszinierende Spitzbübigkeit in der er bestehende Regeln unterläuft.
Trotz seiner Verwandtschaft mit dem Narren stellt sich der Spießer als äußerst humorloser Zeitgenosse heraus. Humor erscheint dem Spießer genauso suspekt, wie er Witze ausschließlich auf Kosten anderer macht.
Komiker und Comedians erfreuen sich am Spießer.
Niemand eignet sich besser als Gegenspieler zum Humor, wie der Spießer.
Da der Spießer grundsätzlich allem misstraut, was seine Welt erschüttern könnte, ist er in einer Weise Humor-resistent, die für jeden Narren die größte Herausforderung darstellt, sobald der Narr versucht, das festgefahrene Wechselspiel der Gegensätze im Status wieder ins Fließen zu bringen.
Ein Beispiel für eine humorvolle und zugleich sozialkritische Umsetzung der Spießer-Seele ist die aus den 70iger Jahren bekannte Fernsehreihe „Ein Herz und eine Seele“. Wie ein moderner Till Eulenspiegel attackierte der Brechtschaupieler und Komiker Heinz Schubert in der Rolle des Ekels Alfred Tetzlaff die damalige Fernsehnation mit reaktionären Sprüchen und verbalen Sauereien. Äußerst überzeugend verkörperte Schubert die Rolle des Ekels Alfred und präsentierte seinem Publikum den Prototypen des deutschen Spießers. Als solcher dominierte und tyrannisierte er seine Fernsehfamilie: neben der Tochter Rita (Hildegard Krekel) gehörten dazu sein Schwiegersohn Michael als „langhaariger Anarchist“, dargestellt von Dieter Krebs und die von Elisabeth Wiedemann verkörperte Ehefrau Else, „die dusselige Kuh“ an seiner Seite und damit das eheliche Pendant im patriarchalen Duo. Die sehr komische, aber eigentlich bedrückende Wahrheit, die auf diese Weise in die deutschen Wohnzimmer gelangte, provozierte damals nicht nur zum Lachen, sondern auch sehr zum Nachdenken.
In dieser Kombination eignet sich der Spießer hervorragend als komische Vorlage. Er fungiert als Zerrspiegel gesellschaftlicher Normen und wird damit zur Witzfigur.
Mein persönlicher Spießer
Meinen sehr persönlichen Spießer nannte ich Hermann. In dieser Figur konnte ich im clownesken Spiel ganz hervorragend ausleben, was ich mir ansonsten niemals erlaubt hätte. Verborgene negative und gewisse dunkle Seiten, so wie sie in jedem von uns schlummern, durfte ich durch Hermann ‘rauslassen, clownesk übertreiben und dem Lachen preisgeben.
So richtig in Fahrt kam ich immer, wenn ich mich mit meiner schwäbischen Herkunft outen konnte: ich legte das gepflegte Hochdeutsch ab und ließ in breitestem „Aolener“ Dialekt meine Zunge statt meinen Verstand sprechen. Nirgends kann man so wunderbar emotional sein, und nirgends kann man so ungehemmt seinen Gefühlen freie Rede erlauben wie wenn man Dialekt spricht. Ein wahrhaft komischer Hochgenuss, den ich lustvoll auskostete und damit auch noch das Publikum zum Lachen brachte!
Natürlich hatte ich keine Garantie, dass das Publikum hier immer lacht. Ist das Lachen schließlich davon abhängig, wie viele Spießer im Publikum sitzen. Im Zweifel können diese zwischen Satire und Realität ja überhaupt nicht unterscheiden!
Der neue Spießer
Im Vergleich zu den 70iger und 80iger Jahren hat sich die Gestalt des Spießers in unserer Gegenwart erheblich verändert:
Während wir uns früher mit Loriot über den Spießbürger Herrn Müller-Lüdenscheidt amüsierten oder den Proleten Alfred Tetzlaf als Bollwerk verzerrter gesellschaftlicher Strukturen aufs Korn nahmen, erweist sich der Umgang mit den heutigen „neuen“ Spießern als wesentlich komplizierter. Der neue Spießer ist weniger greifbar und er hat gleichzeitig ein moralisches Bollwerk um sich herum errichtet, durch das nicht einmal die Komik hindurchkommt.
Also wie sieht er aus, der neue Spießer? Ist es spießig, kein Spießer zu sein?
Erinnern Sie sich an die LBS Werbungmit dem Slogan „Papa, wenn ich groß bin, will ich auch Spießer werden!“
Schaut man sich gegenwärtig mal so um, dann scheint es so zu sein, dass es die Kleine tatsächlich geschafft hat. Der Spross eines Aussteiger-Hippies aus den 70iger Jahre ist in der Mitte der Gesellschaft gelandet und prägt das heutige neue Bürgertum, anfangs noch mit Turnschuhen und jetzt immer mehr einem neuem Moralkodex. Und genauso, wie früher der Spießbürger mit seinen Spießgesellen als eine Art Bürgerwehr die eigene enge bürgerliche Ordnung bewacht hat, wird auch heute die neu festgelegte Moral von Gut und Böse nach außen strengstens verteidigt.
Damit gibt es auch für uns Komiker neue Regeln, über die man keineswegs einfach hinweglachen darf.
Nur wenige trauen sich auf das Minenfeld des neuen Spießers. Zu undurchsichtig sind die neuen gesellschaftlichen Anordnungen und die möglichen Konsequenzen scheinen gefährlich.
Solange wir den Spießer im bürgerlich- rechten Lager verorten konnten, bestand keine Gefahr, das Falsche zu tun. Selbst wenn die Grenzen des guten Geschmacks zuweilen überschritten wurden, konnte man sich als Komiker sicher fühlen, auf der richtigen Seite zu stehen. Doch die Grenzen des sag- und des lachbaren haben sich massiv verschoben. Und es ist unklar, wer eigentlich diese Grenzen bestimmt.
Ist die Satire gekapert worden? Oder war sie schon immer ideologisch einseitig und wir haben es nur nicht gemerkt, weil wir es bisher nicht hinterfragt haben?
Mit meinem Herrmann durfte ich mir noch erlauben in meinen eigenen spießigen Untiefen nach Lust und Laune herum zu tauchen, ohne Angst haben zu müssen, unversehens gegen das politisch-korrektes Moralalphabet zu verstoßen, falls einem aus Versehen das N-I-Z-Sch-A-Wort aus spießigem Übermut herausgerutscht wäre.
Satire durfte immer unmoralisch und sogar anarchisch sein. Doch was passiert, wenn der Spießer nun aus den eigenen Reihen kommt? Läuft dann der Witz Gefahr, dem Falschen zu dienen? Ist das dann Humor, wenn man nicht mehr lacht?
Was passiert, wenn die Satire von ihren eigenen intellektuellen und moralischen Maßstäben eingeholt wird?
Es scheint, dass das, was wir gesellschaftlich als das Gute, das Wahre, das Anständige und das Richtige bezeichnen, für Humor nicht geeignet ist. Auch dann, wenn das neue Gut-Gemeinte in seiner rigiden Form nicht weniger spießig daherkommt und genauso enge, festgefahrene und verzerrte Formen annimmt wie das alt-hergebrachte Böse. Seitdem haben es sogar die Komiker schwer, den Witz in der Verzerrung zu entlarven, wie es unlängst Didi Hallervorden in seinem neuen Sketch erleben konnte.
Haben die Bösen mehr Humor oder können die Guten nicht über sich selber lachen?
Die Satire verliert ihren Reiz, wo sie sich anständig und moralisch richtig verhalten muss. Denn gerade da, wo wir unanständig sind, bricht zuweilen die Wahrheit durch. Vielleicht ist der neue Spießer auch einfach nicht böse genug. Oder vertuscht er es so gut, dass man sich nicht traut, ihm Unrecht zu tun? Deshalb greifen viele Komiker auch heute immer noch gerne auf den alten Spießer zurück. Die alten Witze zünden immer noch und tun dabei vor allem keinem weh.
Nur, dass Satire dann zum Entertainment wird und der Spies des Komikers ins Leere trifft, wo er nicht mehr stechen und nicht mehr provozieren darf.