Gute Clowns, böse Clowns
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Ich erinnere mich gut, wie ich vor einigen Jahren eine ganze Reihe von Interviews gegeben habe wegen einer plötzlichen Erscheinung, die alle erschreckt und in Aufruhr gebracht hat.
Wie aus dem Nichts waren überall Horrorclowns aufgetaucht. Merkwürdige Gestalten, mit eklig verzerrten Clown-Masken versteckten sich damals in Tiefgaragen und hinter Ecken um ahnungslose und unbescholtene Bürger zu erschrecken.
Es begann 2016 in Amerika und schwappte dann über Frankreich auch nach Deutschland.
Eine Art Horror-Virus des Schreckens, der sich ohne ersichtlichen Grund plötzlich überall breit machte.
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An Corona hatte damals noch niemand gedacht. Als Erreger vermutete ich sogar eine clever angelegte Werbe-Kampagne für die zur gleichen Zeit neu erschienene Verfilmung von Stephen King´s „Es 2“.
Vielleicht wären sie ja auch wie Kaspar Hauser irgendwo ausgesetzt worden und kämen nun aus ihren Löchern hervor? Was auch immer der Auslöser war, täglich gab es neue Nachrichten darüber, wie böse Clowns in Shopping - Malls und sogar in Krankenhäusern sichtbar wurden.
Die Aufregung unter den „Guten Clowns“ war entsprechend groß. Schließlich befürchtete man, die über Jahre aufgebaute gute Reputation der Clowns in Kliniken und in Seniorenheimen beschädigt zu sehen.
Die Presse reagierte schnell. In meinen Interviews versicherte ich den Journalisten, dass die traditionelle Figur des Clowns das aushalten konnte, ohne tieferen Schaden zu nehmen. Irgendwann verschwanden sie dann auch wieder, genauso schnell, wie sie aufgetaucht waren.
Was von dem Schrecken zurückblieb, war die Frage, warum der Clown immer wieder als Gegenspieler des Bösen wahrgenommen wird, oder sogar selbst als böse, übergriffig oder als diffuse Gestalt.
Ich denke, es gibt kaum einen Beruf, (wobei die Bezeichnung „Beruf“ für viele Leute schon suspekt ist) in dem so unterschiedliche Zuweisungen, Zuordnungen und Interpretationen stattfinden, wie im Beruf des Clowns.
Vom tollpatschigen Looser bis hin zum weisen Philosophen: alles ist dabei.
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Ganz aktuell wird heute einer der mächtigsten Männer der Welt als Clown bezeichnet, wobei damit in der Regel auch eher nichts Gutes gemeint ist.
Anfangs hat man sich noch amüsiert über den Narren, der angetreten ist um sich selber zu krönen.
Wie es auf unserer Seite vom großen Teich erscheint, haben sie in Amerika den bösen Clown zum König gewählt.
Haben sie sich damit wohl selber zum Narren gemacht? Oder sind es nachher eher wir - selbstverständlich die Guten -, die dem Narren aufsitzen, weil wir wie beim Eulenspiegel panisch losrennen, uns gegenseitig niedertrampeln und versuchen unsere Schuhe zu retten, die uns der Narr abgeluchst und über unseren Köpfen, in luftiger Höhe zu einem Knäul zusammengebunden hat?
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Grund genug, sich zu fragen, was es eigentlich auf sich hat mit den Guten Clowns und den Bösen Clowns?
Das Bild des guten Clowns ist heutzutage stark geprägt von Kinderaufführungen und von den Klinikclowns mit ihren engagierten Einsätzen in Krankenhäusern und Seniorenheimen.
Noch vor 10 bis 15 Jahren dachte man dagegen eher an das Zirkusclown-Duo „Weißclown und August“.
Hier trat der Rot-Clown August als Tollpatsch auf, der immer versuchte so wunderbar zu sein, wie der Weißclown. Dabei konnte er durchaus auch mal hinterlistig und sogar gemein sein und zur Freude der Zuschauer dem edlen Weißclown das eine oder andere Schnäppchen schlagen. Dass am Ende sich immer wieder der Weißclown durchgesetzt hat, sorgte dafür, das die gute Ordnung auch im Zirkus nicht gefährdet war.
Alles war an seinem Platz und dem August konnten seine frechen Kapriolen immer wieder verziehen werden.
Eine heile Welt, in der das Böse als Kinderspiel geduldet war.
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Parallel zu den klassischen Zirkusclowns gab es in den 70iger und 80iger Jahren aber auch ganz andere Vertreter der clownesken Zunft:
Anarcho-Clowns wie Jango Edwards und der selbsternannte Terror-Clown Leo Bassi passten so gar nicht zu dem beschaulichen Familienprogramm der Zirkusclowns.
Schaut man allerdings die Geschichte des Clowns genauer an, die bis zu den Anfängen der Menschheit und deren frühen Formen des Zusammenlebens zurückreicht, tauchten immer wieder durchaus krude Gestalten auf.
Die im wahrsten Sinne des Wortes bucklige Verwandtschaft des Rot-Clowns, wie wir ihn vom Zirkus kennen, zeigt uns ganz andere Facetten, die wir üblicherweise nicht kennen.
Die Schwarzclowns und die Buffone entstammen ihrer Herkunft nach nicht aus der poetisch – magischen Zirkuswelt.
Sie sind vielmehr mythische Gestalten: auf dem Acker geboren, verstoßene Bastarde, Mondkälber und Missgeburten. Und so ähnelt ihr Spiel und ihr Auftreten auch nicht dem naiven Kind, dem verspielten Träumer, dem tollpatschigen aber gutwilligen August.
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Der Schwarzclown schockiert als Buffone, er beschimpft, er neckt und spuckt sogar ins Publikum.
Schon in der Antike traten die Vorfahren des Clowns als komisch- rustikale Charaktere mit zweifelhaftem, unflätigem Benehmen auf.
Und auch die trippelnde Gangart des Harlekino, bekannte Figur aus der Comedia del Arte des 16 Jh., mit seinen typischen kleinen Sprüngen ist nicht nur lustig.
Es ist vor allem der Versuch, einen Klumpfuß zu verbergen, als Hinweis auf seine Verwandtschaft mit dem halb-Mensch halb-Tier haften Pan und dessen Pferdehuf.
Überall tauchen beim Clown Querverweise auf zu nicht unbedingt lustigen, sondern durchaus skurrilen und auch tragischen Ursachen des Komischen.
Ähnlich ist es mit der Geschichte des Clown-Kostüms.
Die vielen bunten Flecken weisen auf die Farben der Aussätzigen hin, mit denen man im Mittelalter die Leprakranken gekennzeichnet hat um vor Berührung und Ansteckungen zur warnen. Genauso verhält es sich mit den Glöckchen an der Narrenkappe und dem Narrenzepter.
Der Clown hat bewusst Requisiten des Schreckens aufgegriffen. Indem er sie aus dem Kontext reißt und clownesk überhöht, kippt das Grauen ins Lächerliche. Das Lachen hilft dabei das Unheil zu ertragen, und der Clown weicht davor nicht zurück.
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Das Komische und das Schreckliche liegen nah beieinander.
In unseren Tagen, nicht ganz so tragisch aber dennoch symbolisch, sind die immer zu kurzen, zu langen, zu großen und zu kleinen Hosen, Jacken und Schuhe des Clowns Hinweise auf die Umstände, aus denen der Clown kommt. Der Clown stammt aus Verhältnissen, wo er niemals eigene Kleider besaß, je nachdem wo man ihn verortet.
Entweder war das so, weil er als der Kleinere und Jüngere die Klamotten von den Großen auftragen musste, oder weil er als Landstreicher und Clochard-Clown mit seinen zerrissenen Hosen das trägt, was er findet, was ihm von anderen überlassen wird oder was er gerade von einer Wäscheleine „mitgehen lässt“.
Das Deformierte im Clown spiegelt das Deformierte in der Gesellschaft wieder.
All das macht den Clown auch immer zu einem Anwalt der Schwachen und Wehrlosen und damit natürlich auch der Kinder, die in eine Erwachsenen-Welt hineingestoßen werden, die ihre zarte, magische Herkunft zumeist nicht erkennt, selten wertschätzt und noch seltener fördert.
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Wie geht der Clown damit um? Wir erkennen: Das Clown-Sein spielt sich auf einer besonderen Ebene ab.
Der Humor fungiert als Leiter, auf der der Clown sicher sitzen kann, von oben herabschauen und das Spiel zwischen Gut und Böse verfolgen kann. Je nach Lust und Laune hüpft er spielerisch von der einen Seite auf die andere Seite. So kann der Clown unbescholten die Welten wechseln und überwindet damit die kollektive und konditionierte Trennung zwischen Gut und Böse.
Von daher ist eine Einteilung in Gut und Böse völlig un-clownesk. Mehr noch, eine Aufteilung in gute und böse Clowns lenkt völlig von seinem inneren Bestreben ab.
Genau gesagt wechselt der Narr permanent seine Position – er ist ein Gegenteiler.
Er stellt sofort in Frage, woran alle im Moment starr und rigide festhalten, um im nächsten Moment wieder das Gegenteil in Frage zu stellen.
Daraus folgt: Es ist genauso fatal einem Narren zu vertrauen wie ihm zu misstrauen. Und das ist auch gar nicht, was der Narr beabsichtigt. Was der Narr möchte ist, dass wir uns selber vertrauen, dass wir selber nachdenken und selber prüfen und unterscheiden.
Der Narr erschüttert unseren Verstand.
Im Wechselspiel der gegenteiligen Kräfte wechseln auch die Bewertungen. Was für den einen gut ist, ist für den anderen böse. Damit löst sich die vermeintlich objektive Klassifizierung von Gut und Böse auf.
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Wenn man die Geschichte der Menschen rekapituliert, insbesondere die Geschichte der westlichen Kulturen, und sich bewusst macht, wieviel Böses im Namen des missionarischen Guten geschaffen worden ist, dann kann es einen grauen. Zumindest aber dürfte man Zweifel an der Klassifizierung von „Gut und Böse“ bekommen.
Alles, auch das Böse, geschah immer aus „gutem Grund“ und wurde so gerechtfertigt.
Wie soll man klassifizieren, was der Friedens-Nobelpreisträger Obama sagte: „sometimes war ist nessesary“?
Entscheidend scheint mir daher nicht, wie die Dinge bewertet und gelabelt werden, sondern was sie bewirken. Damit kommt es auch nicht mehr auf das Logo an, sondern auf das, was man tut und als Ergebnis dessen bewirkt. Oder wie Forest Gump sagt: „Dumm ist nur, wer Dummes tut.“
Verhindert am Ende die alte Einteilung in „Gut und Böse“ vielleicht nur, dass man genauer hinsieht? Dass man tiefer blickt in das „Rabbit Hole“ wie Alice im Wunderland? Und das vermutlich letztendlich aus Angst? Denn wenn man sich den Kaninchenbau genauer anschaut, stellt man fest, dass er sehr verzweigt ist. Man verirrt sich schnell und befürchtet, keinen Ausgang zu finden.....
Genau hier kommt der Clown zum Einsatz.
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Denn manchmal braucht es etwas Chaos um etwas Klares zu bewirken.
Schon immer war es das Privileg des Narren, Dinge auszusprechen, die sich sonst keiner getraut hätte.
Wie ein Art Gegengift durchleuchten die Satire, die Groteske und die clowneske Übertreibung das, was in der Realität längst normal geworden ist. Ihr Witz zeig sich gerade da, wo das mit allen Mitteln Festhalten an „der guten alten Ordnung“ der eigentliche Grund für Unheil ist.
Als Beispiel aus unseren Tagen hat man die aktuellen Probleme so an den extremen Rand verdrängt, dass man sich mit Ihnen schon aus Prinzip nicht mehr auseinandersetzen darf. Aus Rechts-konservativ wurde Links-konservativ.
Während man in den 60igern und 70igern dem rechten Establishment vorwarf die Meinungen zu unterdrücken, gehen heute die Vorwürfe in Richtung links.
Rechts und links sind an diesem Punkt offensichtlich völlig austauschbar.
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Während wir zuschauen, wie Diskussionen nicht stattfinden und die Überzeugungskraft nicht ausreicht, wird ausgegrenzt und ohne Rücksicht auf Verluste für jeden Einzelnen rigide festgelegt was Richtig und Falsch zu sein hat.
Man sollte sich also nie zu sicher fühlen und sich nicht zu sehr einrichten im Bewusstsein auf der „Guten Seite" zu sein, sonst wird aus der bequemen „Guten Stube“ nicht das erste Mal eine „Kammer des Grauens".
Wie ein Siegel lasten „Gut und Böse“, „Richtig und Falsch“ auf der Wahrheit und lenken davon ab, dass die Erkenntnis jenseits dieser beiden Polungen auf uns wartet.
Da aber auch die Wahrheit viele Ebenen hat und erstmal nur relative Sicherheit bietet, bleibt die Welt derweil ein Rätsel.
Nun, es ist nicht die Aufgabe des Clowns die Welt zu ordnen, sondern sie durcheinander zu bringen, um festgefahrene Positionen zu lockern.
Am Ende hilft uns das Lachen, das zuweilen auch in Weinen übergeht. Beides zusammen wärmt uns das Herz und bläst nicht nur die Lungen, sondern auch den Kopf frei, und vor allem: es verbindet.
Und genau darauf kommt es an, wenn die Welt sich mal wieder in Gut und Böse aufgeteilt und sich an Richtig und Falsch festgebissen hat:
Vergessen wir also nicht, zusammen zu weinen, zu lachen und uns miteinander zu verbinden.
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Quellen: Alle Fotos sind während Aufführungen in der Schule für Clowns aufgenommen worden. Die Namen der abgebildeten Künstlern lauten der Reihen nach
- Bild 1 Friederike Becker und Tim Schmersow
- Bild 2 Till Toth
- Bild 3/10 Patrick Passehr
- Bild 4 Roy Martin
- Bild 5 Friederike Becker
- Bild 6 / 11 Nikolas Stocker
- Bild 7 Dominique Dell'Oro
- Bild 8 Tim Schmersow
- Bild 9 Helge Nommensen
Wir haben unsere Schüler immer darin unterstützt ihrem eigen künstlerischen Ausdruck zu folgen. Einige der Aufführungen haben für regelrechte kleine Tumulte gesorgt, bis hin zu Kommentaren wie "Ich kommen nie mehr in die Clownschule!"
Eine davon war die von Patrick Passehr. (bei YouTube muss man sich ernsthaft dafür anmelden - wegen verstörender Inhalte - ein Beispiel unser aktuellen Doppelmoral) oder die Szene "Jagdfieber" von Karina Glogau und Luise Gerlach (die man heute auch so nicht mehr aufführen könnte)
Anschauen lohnt sich!
Hier findest Du noch einige der Interviews von 2016 zum Thema: Horrorclowns
https://www.gmx.at/magazine/panorama/horror-clowns-usa-verbirgt-masken-31956440
https://www.gmx.at/magazine/panorama/horror-clowns-usa-verbirgt-masken-31956440
https://www.fr.de/politik/cdu-org26591/ausbilder-horror-clowns-sind-psychopathen-11070461.html
https://www.sat1.de/serien/nachrichten/news/horror-clowns-missbrauchen-positives-image-24623
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